Kafka! Zum 100. Todestag

Exotische Textwesen

 

von Bert Rebhandl

 

Franz Kafka war ein begeisterter Kinogänger. Warum tut sich das Medium mit ihm so schwer? Das Kinok sucht Antworten.

 

Wer war Franz Kafka? Diese Frage ist zuerst einmal einfach zu beantworten. Franz Kafka war ein österreichischer Jude, der in Prag in gut zwölf Jahren vor seinem Tod 1924 in deutscher Sprache ein literarisches Werk von Weltrang schuf. Seine Texte sind so einprägsam merkwürdig, dass man inzwischen ein Adjektiv mit ihnen verbindet: kafkaesk. Niemand könnte genau definieren, was kafkaesk ist, aber wer jemals etwas von Kafka gelesen hat, wird sofort verstehen, wenn etwas kafkaesk ist. Mit diesen paar Sätzen ist das Nötige gesagt, damit bleibt aber die Frage: Wer war Franz Kafka? Richard Dindo, der bedeutende Schweizer Dokumentarist, wollte das auch wissen. Und sein Film über Kafka aus dem Jahr 2006 trägt nicht von ungefähr diese Frage im Titel. Die Antwort fällt unterschiedlich aus, je nachdem, wen man fragt. Man kann Max Brod fragen, den Lebensfreund, der sich nach dem Tod von Kafka weigerte, dessen Texte zu verbrennen, wie er es ihm eigentlich aufgetragen hatte. Man kann Felice Bauer oder Dora Diamant fragen, zwei Frauen, die Kafka geliebt haben und die wohl auch er geliebt hat, auf seine komplizierte Weise. Dindo hat ein Gespräch mit verteilten Rollen über Kafka inszeniert, er hat Schauspielerinnen und Schauspieler gesucht, die Texte über ihn sprechen, er hat intensive Bildrecherche betrieben und das alte Prag wiederauferstehen lassen, und er hat auch Kafka selbst eine Stimme gegeben – die von Ulrich Matthes. Man bekommt ein vielschichtiges Bild bei Richard Dindo, man erfährt von der übermächtigen Vaterfigur, an der Kafka sich ein Leben lang abgearbeitet hat, man hört von seinem Judentum und von der Unmöglichkeit, das Leben und die Literatur unter einen Hut zu bringen. Was für andere Menschen selbstverständlich ist, also Liebe, Ehe, Beruf und alles das, das war für Kafka ein Rätsel.

 

Für uns sind seine Texte ein Rätsel. Wir lesen sie, und verstehen sie sicher auch bis zu einem gewissen Grad, aber wir kommen nicht ganz dahinter. Es bleibt ein Rest an Unerreichbarem in dem höchst Konkreten, das die Sprache bei Kafka immer ist. Und mit dieser Hypothek hat es auch das Kino zu tun. Als Bildmedium ist es an sich bestens geeignet, das zu ergänzen, was in Texten angelegt ist. Wir machen beim Lesen ja unwillkürlich aus Worten eine Welt. Aber was ist das genau für eine Welt, in die ein Landvermesser kommt und in der alles mit einem Schloss zu tun hat, das eindeutig eine Machtinstanz darstellt, das aber auch irgendwie unerreichbar erscheint? Drei grosse Romane hat Kafka geschrieben, alle blieben Fragment: Das Schloss, Der Prozess, Der Verschollene (Amerika). Alle wurden auch verfilmt, und man kann aus dieser Reihe von Versuchen eine Menge über Kafka lernen. Von Das Schloss gibt es zwei Verfilmungen, zwischen denen dreissig Jahre liegen: Rudolf Noeltes von 1968 und Michael Hanekes von 1997. Sie sehen einander äusserlich durchaus ähnlich, man kennt die ländlichen Stuben, in denen der namenlose Protagonist K. auftaucht, im Grunde schon aus der Malerei seit Bruegel. Ein grosser Unterschied ergibt sich daraus, ob eine Erzählerstimme zum Einsatz kommt. Bei Haneke übernimmt Udo Samel diesen Part, Noelte hingegen in seiner wenig bekannten Version hat damals darauf verzichtet – und sich dadurch ein wenig mehr Freiraum erarbeitet. Denn bei Kafka-Adaptionen geht es oft darum, sich von der Autorität dieser Stimme zu lösen, von Sätzen, die so makellos wirken, dass sie alles in ihren Bann stellen.

 

Orson Welles, der 1962 eine Verfilmung von Der Prozess gewagt hatte, war für seine Stimme so berühmt (und so in sie verliebt), dass er allein schon damit die bürokratische Bedrohlichkeit des Texts mit einem beinahe biblischen Gewicht auflud. Welles war auch aktualisierenden Deutungen nicht abgeneigt – während man Kafka oft auf die Entfremdung der Menschen in der Moderne insgesamt hin liest, spielt er auf den Kalten Krieg und die Atombombe an, also auf Dinge, von denen Franz Kafka nichts wissen konnte.

 

Die Herausforderung, vor der alle Verfilmungen von Kafka-Texten stehen, hat auch damit zu tun, dass Kafka so stark vom Kino inspiriert war. Hanns Zischler hat dazu alles Wesentliche erforscht und Stummfilme, von denen die Fantasie des Schriftstellers angeregt wurde, ausgegraben: In dem dazugehörigen «Kafka geht ins Kino» kann man sie auch sehen. Es waren wilde Geschichten, exotische Abenteuer, der ganze Kintopp, also auch etwas sehr Kindliches, Naives am frühen Kino, doch die Texte von Kafka sind natürlich nicht naiv. Und wer sich mit ihnen filmisch beschäftigt, ist darauf verwiesen, etwas von dieser Spannung zwischen grober Kolportage und äusserster literarischer Zuspitzung einzufangen. Eine eigentlich fast unlösbare Aufgabe.

 

Eine Filmschau zu Kafka führt also in das Innerste des Kinos, an den Punkt, an dem Vorstellungkraft sich beinahe in den Träumen verliert, während sie in Bildern festgenagelt wird. Essayistische Herangehensweisen treffen diesen Punkt meist eher, oder sie können ihn umkreisen. So ist es ein grosses Verdienst, dass die Reihe im Kinok einige unbekanntere, man könnte sagen: filmliterarische Versuche zu Kafka vorstellt. Richard Dindo geht auch essayistisch vor und erfüllt zugleich die Aufgabe einer filmischen Einführung. Wolfgang Ramsbott widmet sich mit «Im Traum hinzugefügt – Kafka in Berlin» den Bildern von Berlin, die Kafka hatte und festhielt – er wollte immer aus Prag weg, damit auch aus den Verstümmelungen durch seine Erziehung. Berlin als Chiffre für eine Freiheit, die im Leben dann doch unerreichbar blieb, die Ramsbott aber sehr gut trifft. Ähnlich nahe kommt die Österreicherin Astrid Johanna Ofner dem Rätsel Kafka in «Sag es mir Dienstag», in dem sie eher assoziative Bilder zu Passagen aus Briefen an Milena Jesenská findet. Das sind keine kafkaesken Filme, aber solche, die mit den Eigenheiten der Literatur im Kino zu arbeiten versuchen.

 

Einen spannenden Fall von Bildgewalt stellt schliesslich Jochen Alexander Freydanks «Kafkas Der Bau» (2014) dar: Tiere und Tierwelten spielen bei Kafka oft eine grosse Rolle, dieser Film lässt sich als ein wuchtiger Versuch sehen, das Kafkaeske zu einer Ästhetik zu erklären. Wer war Franz Kafka? Die Antwort findet sich in dem Bau, den seine Texte darstellen und in dem noch kein Film das Innerste erreicht hat. Umso spannender sind alle Versuche.

 

Bert Rebhandl, 1964 in Oberösterreich geboren, lebt als freier Journalist, Autor und Übersetzer in Berlin. Seine Webseite lautet: bro198.net.

 

Hundert Jahre nach seinem Tod ist die Faszination für Franz Kafka ungebrochen. Am 3. Juni 1924 mit nur vierzig Jahren verstorben, brachte er mit seinen enigmatischen Texten das Unbehagen in der Moderne exemplarisch zum Ausdruck. Obwohl seine Texte als unverfilmbar gelten, wurden einige seiner Werke für das Kino adaptiert. Die berühmtesten Verfilmungen, aber auch weniger bekannte Annäherungen an sein Leben und Werk, darunter Hanns Zischlers bahnbrechende Studie zu Kafka als leidenschaftlichem Kinogänger, laden ein, den grossen Autor mittels des Medium Films wiederzuentdecken und zu feiern.  
Schliessen Di 21.05. < >
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King's Land