Jim Jarmusch – Master of Cool

 

Von Alexandra Seitz

 

Sie sind immer alle unterwegs. Seltsame Gestalten auf seltsamen Wegen. Sie haben seltsame Begegnungen mit anderen Seltsamen, die gleichfalls unterwegs sind. Woher? Und: Wohin? Möglicherweise ist das gar nicht wichtig. Wir werden sehen. Aber wir haben es dabei nicht eilig. Und wenn wir es überhaupt eilig hatten, als wir aufbrachen, so verliert sich diese Eile doch im Verlauf der Reise. Macht Platz dem Flanieren oder dem Umherstreunen, wird abgelenkt von Details oder vom Unvorhergesehenen auf Umwege geleitet, führt zu Irrungen und Wirrungen, findet Bewegung im Stillstand und das Schicksalhafte im Zufälligen.

 

Als Jim Jarmusch 1980 in seinem ersten Film «Permanent Vacation» einen jungen Mann auf seinen ziemlich ziellosen Wanderungen durch Lower Manhattan beobachtet und aufzeichnet, was diesem unterdessen widerfährt, legt er damit zugleich die Grundsteine seines weiteren filmischen Werdegangs, das Fundament seines Erzählens: Es ist dies eher ein Aufsammeln von Handlungsfragmenten, ein elliptisches Aneinanderreihen ereignishafter Fundstücke, denn die stringente Verfolgung einer Geschichte. Wer fragt hier nach Dramaturgie? Und überhaupt: Wer braucht sie? «Ich lese gern Gedichte, weil der Platz um die Wörter herum oft genauso wichtig ist wie der Text selbst», sagt Jarmusch. Und pflegt in seinen Filmen die kursorische, narrative Fortbewegung in grosser Ruhe. Und in Ruinen. Quer durch Stadtlandschaften, die von verlassenen Zeugnissen einstiger menschlicher Geselligkeit geprägt sind: alte Kinos, abgewirtschaftete Kneipen und Geschäfte, vernagelte Häuser, überwilderte Brachen, heruntergekommene Hotels, Gegenden, von den Zeitläuften überholt, vom Kapitalismus nicht mehr verwertbar, aufgegeben, der Vergessenheit anheimgefallen und dem Verfall preisgegeben. Und wenn Jarmusch, selten genug, mit der Kamera in der sogenannten «freien Natur» unterwegs ist – wie in den südlichen Sümpfen in «Down by Law» (1986) und den nordwestlichen Wäldern in «Dead Man» (1995) –, dann sucht und findet er dort die unkultivierte Wildnis, eine Vegetation fern der menschlichen Zivilisation – deren indifferente Schönheit er mittels der Artifizialität des verwendeten Schwarz-Weiss-Films sodann zu voller Geltung bringt.

 

Der US-amerikanische Filmkritiker J. Hoberman schreibt 2009 über Jim Jarmusch: «He is a model of stylistic consistency who emerged as a full-blown talent and erupts once a decade – ‹Stranger Than Paradise› in the ’80s, ‹Dead Man› in the ’90s, ‹The Limits of Control› today.» Hoberman greift die jeweiligen Highlights aus Jarmuschs Schaffen der jeweiligen Dekade heraus – die Reihe lässt sich inzwischen ergänzen um den 2013 entstandenen «Only Lovers Left Alive» –, aber der Filmemacher hat es insgesamt nicht eilig. Mal vergehen zwei, mal drei, mal vier Jahre zwischen dem einen Film und seinem nächsten. Wer künstlerisch unabhängig bleiben möchte, darf nicht ungeduldig sein. Und Jarmusch ist, wenn denn Gastauftritte in Filmen von Kollegen, Interviews in Dokumentationen, Beobachtungen in Making Ofs etwas über den Mann selbst auszusagen vermögen, das Gegenteil eines Hektikers. In Gestik wie Duktus eher gemessen, eignet ihm eine geradezu meditative Ruhe. Ein Filmemacher-Bodhisattva, dessen oberste Maxime im Leben wie in der Kunst die Gelassenheit ist. Auch wenn Jarmusch selbst die Bezeichnung «independent filmmaker» hasst – er zieht «artisan» (Kunsthandwerker) vor –, so verkörpert er sie doch geradezu idealtypisch. Er hat den Final Cut, er besitzt die Negative seiner Filme, er lässt sie für den ausländischen Markt untertiteln, aber nicht synchronisieren, er geht keine Kompromisse ein. Und wenn es dauert, bis eine seiner Ideen den Weg aus dem Notizbuch heraus auf die Leinwand findet, dann dauert es eben.

 

James Roberto Jarmusch wurde am 22. Januar 1953 in Akron, Ohio, geboren: «Growing up there was just planning to get out», also macht er sich nach Abschluss der Highschool aus dem Staub. Er studiert Literatur an der Columbia University in New York und eignet sich während eines Auslandsemesters in Paris nebenher in der Cinémathèque française umfassende filmhistorische Grundlagen an. Zurückgekehrt, nimmt er ein Filmstudium an der New Yorker Tisch School of the Arts auf. Er lernt dort die Filmemacherin Sara Driver kennen, die nicht nur wertgeschätzte Kollaborateurin und Produzentin seiner ersten beiden Filme werden wird, sondern auch seine Lebenspartnerin. Ende der Siebzigerjahre gehören Driver und Jarmusch zur Undergroundszene rund um den legendären Punk/New-Wave-Club CBGB in Lower Manhattan, das zu jener Zeit noch alle Freiheiten eines nicht gentrifizierten, nahezu aufgegebenen Bezirks bot. Insofern sind «Permanent Vacation» – den die Tisch School als Abschlussarbeit ablehnt – und der Nachfolger «Stranger Than Paradise» (1984) – in Cannes mit der Caméra d’Or ausgezeichnet – auch als Zeitkapseln zu sehen, in denen ein inzwischen verloren gegangener Stadtzustand und seine Lebenswirklichkeit überliefert sind.

 

«Stranger Than Paradise» macht den Namen Jarmusch nicht nur unter den sogenannten Cineasten schlagartig bekannt, sondern verändert auch die Wahrnehmung des sogenannten Independent-Kinos seitens der Hollywood-Studios. Zu gerne hätten die Majors den vielversprechenden Filmkünstler nun ins Boot geholt, doch der bleibt, wie immer, unnachgiebig und lässt sich nicht kaufen. Stattdessen zieht es ihn nach Louisiana, wo er 1986 in «Down by Law» in einer Gefängniszelle die beiden befreundeten Musiker Tom Waits und John Lurie mit dem italienischen Komiker Roberto Benigni kollidieren und aus dem Kontrast von stoischer Coolness und quirligem Gequassel komische Funken schlagen lässt. Mit «Mystery Train» und «Night on Earth» folgen 1989 und 1991 zwei episodisch strukturierte Nacht-Filme: Drei Übernachtungen in einem Hotel in Elvis’ Memphis schildert der eine, nächtliche Taxifahrten in fünf Metropolen der Welt der andere. Jarmusch, bislang Darling der Filmkritik, muss den ersten (und einzigen) Backlash einstecken und sich Wiederholung und Bequemlichkeit vorwerfen lassen. Er kontert souverän mit dem metaphysisch-philosophischen No-Nonsense-Post-Spät-Western «Dead Man», der Robert Mitchum in seiner letzten (Neben-)Rolle zeigt, in Cannes konsterniert aufgenommen und vom US-amerikanischen Verleih (Weinstein!) förmlich verramscht wird, mittlerweile aber unstrittig zu den bedeutenden Vertretern des Genres zählt. Und was die Wiederholungen anbelangt, so fängt Jarmusch jetzt erst richtig an. Das Serielle, Repetitive wird immer deutlicher erkennbar als ästhetische Strategie auch einer zunehmenden gedanklichen Abstraktion. Folgerichtig begegnen Zuschauer und Zuschauerin in Jarmuschs Filmen immer wieder denselben Namen: Zu Waits, Lurie und Benigni gesellen sich im Laufe der Jahre John Hurt, Bill Murray, Neil Young, Iggy Pop, Robby Müller, Isaach De Bankolé und Tilda Swinton; Bekannte und Freunde im Schlepptau, die mal hier und mal dort auftauchen, mitunter in unterschiedlichen Funktionen, die auf diese Weise aber eben auch wie jener Kitt wirken, der das Werk erst zum Œuvre macht.

 

In Jarmuschs fundamental systemkritischem Meisterwerk «The Limits of Control» heisst es: «The universe has no center and no edges.» Womit unsere Ausgangsfrage nach dem Woher und dem Wohin nun doch noch beantwortet wäre: Es ist das Transitorische, das die Existenz determiniert, das Flüchtige und das Immaterielle, sie sind das Einzige von Dauer. Und in den seltsamen und wunderschönen Filmen von Jim Jarmusch lassen diese scheuen Daseinsgeister sich für die Dauer eines Films betrachten.

 

Alexandra Seitz ist freie Autorin und Journalistin. Sie lebt in München. Der zweite Teil der Jim-Jarmusch-Retrospektive folgt im Februar.

 

Im Januar und Februar zeigen wir die Filme eines Regisseurs, der wie kein zweiter das amerikanische Independent-Kino prägte: Jim Jarmusch. Spätestens seit «Down by Law» geniesst Jarmusch Kultstatus. Sein Werk trägt seine eigenwillige Handschrift; seine Filme sind «strange and beautiful», die Plots minimalistisch, von stoischer Lakonie und bisweilen slapstickartiger Komik, mit einem Sinn für skurrile Gestalten und Situationen. Seine Filme realisiert er mit einer eingeschworenen Darstellergemeinde, der auch bekannte Musiker angehören. Jetzt sind sie in restaurierten und digitalisierten Fassungen wieder oder neu zu entdecken.