Premierenfilm

Notturno

IT/FR/DE 2020, 100 Min., DCP, O/d-f, ab 16 Jahren
Regie: Gianfranco Rosi

Der Italiener Gianfranco Rosi ist der einzige Dokumentarfilmer, der es geschafft hat, nacheinander die Hauptpreise an zwei der wichtigsten Filmfestivals zu holen: 2013 Goldener Löwe in Venedig für «Sacro GRA» über eine Ringstrasse am Stadtrand von Rom, 2016 Goldener Bär an der Berlinale für «Fuocoammare». Mit «Notturno» schliesst Gianfranco Rosi nun ein Stück weit an jenen auf Lampedusa auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise realisierten Film an. Der Regisseur begibt sich in seinem neuesten Werk in den Nahen Osten, ins Grenzgebiet von Syrien, Irak, Libanon und Kurdistan, eine jener Weltgegenden, aus der viele Menschen flüchten. Einleitende Sätze informieren, dass hier seit dem 19. Jahrhundert durch immer neue Interventionen fremder Mächte und willkürliche Grenzziehungen ein Strudel von Krieg und Gewalt entfesselt wurde, der sich in jüngster Zeit besonders heftig manifestiert. Es sind die einzigen Erklärungen in einem Film, der bewusst auf jede geografische Verortung verzichtet, sondern nur Begegnungen mit Menschen filmt, die in dieser von Krieg, Terror und Zerstörung geprägten Region versuchen, ihren Alltag zu bewältigen. Es beginnt mit der Fahrt eines Fischers auf seinem Boot durch ein Sumpfgebiet, setzt sich fort mit Frauen, die ein ehemaliges Gefängnis besichtigen, in dem der Sohn der einen zu Tode gefoltert wurde; später sieht man kurdische Kämpferinnen, die sich auf ihren Fronteinsatz vorbereiten, und Szenen aus einer psychiatrischen Klinik, in der kriegstraumatisierte Patienten ein Theaterstück einstudieren. Dem Filmtitel entsprechend ist es oft Nacht, doch es gibt auch Licht in der Dunkelheit, etwa dort, wo eine Lehrerin jesidischen Waisenkindern, die den IS-Terror überlebt haben, mit unendlicher Geduld vermittelt, dass ihr Albtraum definitiv der Vergangenheit angehört. Tobias Kniebe schreibt in der Süddeutschen Zeitung: «‹Notturno› ist ein einziges, universales Poem auf das Weiterleben nach Tod und Zerstörung, ein Film voller Szenen, die man nicht mehr vergisst. Die Methode, auf indirekten Wegen zu den grössten Themen vorzustossen, ist Rosis Markenzeichen. Diesmal gibt es noch weniger Aktionen zu sehen als in ‹Fuocoammare›. Das rückt ‹Notturno› noch weiter weg von allen Newsbildern (…) und macht das Erlebnis an den Stellen, die einem auch ohne Erklärung nahegehen, umso gewaltiger.»

 

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