Im toten Winkel

DE 2023, 118 Min., DCP, O, ab 16 Jahren
Regie: Ayşe Polat
Darst.: Katja Bürkle, Ahmet Varlı, Çağla Yurga, Aybi Era, Maximilian Hemmersdorfer, Nihan Okutucu, Tudan Ürper, Mutallip Müjdeci, Rıza Akın, Aziz Çapkurt u.a.

Die deutsche Menschenrechtsaktivistin und Dokumentarfilmerin Simone ist mit ihrem Team im Nordosten der Türkei unterwegs und will einen Film über sogenannte immaterielle Gedenkstätten realisieren. Als erste Station besucht sie in einem Dorf in den Bergen die kurdische Mutter Hatice, die jeden Freitag als Ritual Suppe für ihren Sohn kocht, der vor 26 Jahren verschwand und wahrscheinlich vom türkischen Geheimdienst entführt und ermordet wurde. Den Kontakt zu Hatice hatte Simone durch Eyüp erhalten, einem Anwalt aus der Stadt, der sich für die Rechte der verfolgten Kurd:innen engagiert. Als sich Simone zu Eyüp begibt, um auch ihn zu interviewen, fällt ihr ein schwarzer Pickup auf. Doch nicht nur das beunruhigt sie, sondern auch die stetige Präsenz von Melek, einem kleinen Mädchen, das unter der Obhut von Leyla, der Übersetzerin, steht. Denn als Tochter von Leylas Nachbar Zafer, einem Geheimdienstmitarbeiter, scheint das Kind offenbar über vieles im Bild, was man ihr, Simone, verschweigt. Die Ausgangslage im neuen Film der 1970 geborenen deutsch-türkischen Regisseurin Ayşe Polat scheint zwar labyrinthisch verschachtelt – und dieser Eindruck steigert sich noch, als die Geschichte, in der sich die Ereignisse bald überschlagen, plötzlich aus einer anderen Perspektive neu erzählt wird. Erst als in einem weiteren Kapitel eine dritte Perspektive hinzukommt, beginnt sich dieses erzählerische Vexierbild über transgenerationale kurdische Traumata in geradezu wundersamer Weise aufzulösen. Es wird klar, dass nur die kleine Melek in den toten Winkel der Geschehnisse, der diesem faszinierenden Hybrid aus Sozialdrama und Mystery-Thriller den Titel gab, zu blicken vermag. Seine Weltpremiere feierte der Film im Februar an der Berlinale in der parallelen Wettbewerbssektion Encounters und wenig später, am Filmfestival in Istanbul, erhielt er den Hauptpreis, die Goldene Tulpe. Mathis Raabe schreibt auf kino-zeit.de: «Mit ‹Im toten Winkel› gibt Ayşe Polat einem inoffiziellen Geheimdienst, dessen Existenz der türkische Staat leugnet, ein Gesicht. Es gelingt ihr, Politik, Medientheorie und Genrekino zu verschränken, und es ist keine Begleitbroschüre nötig, damit der Film funktioniert, denn er ist trotz aller Komplexität hochspannend.»