River of Grass

US 1994, 76 min, DCP, E/d, ab 12 Jahren
Regie: Kelly Reichardt
Darst.: Lisa Donaldson, Larry Fessenden, Dick Russell, Stan Kaplan, Michael Buscemi, Lisa Robb, Tom Laverack, Carol Flakes, Frances Reichardt, George Moore u.a.

Ein kurzer Prolog gleich zu Beginn gibt den hinreissend lakonischen Ton dieses verspielten kleinen Meisterwerks vor. Zu einer Montage aus alten Familienfotos und körnigen Super-8-Aufnahmen schildert Protagonistin Cozy aus dem Off die Stationen ihrer unspektakulären Biografie: Der Vater, ein passionierter Jazzer, hat sie nach seinem Lieblingsdrummer benannt; die Mutter hat die Familie früh verlassen und sich einem Zirkus angeschlossen. Artistin wäre auch Cozy gern geworden. Stattdessen fristet die heute Mittdreissigerin ein tristes Dasein in einer lieblosen Vorstadtehe, hängt ihren Tagträumen nach und zeigt nicht einmal für die eigenen Kinder ein grosses Interesse. Eines Nachts schleicht sie sich aus ihrem Leben und trifft in einer Bar auf den ebenso verlorenen Loser Lee, dem gerade von einem Freund ein gefundener Revolver anvertraut wurde. Gemeinsam steigen sie in einen Privatgarten mit Pool ein – und als sich versehentlich ein Schuss löst, fürchten sie, den Hausbesitzer getötet zu haben. In einem Motel plant das frischgebackene Bonnie-and-Clyde-Pärchen seine Abenteuer versprechende Flucht … «It’s a road movie without the road, a love story without the love, and a crime story without the crime», sagt Kelly Reichardt über ihr beschwingtes Low-Budget-Debüt, für das die in New York lebende Regisseurin ins Florida ihrer Kindheit zurückkehrte. «An amazing first film!», urteilte damals Todd Haynes, der Produzent fast all ihrer folgenden Werke werden sollte. Mit subversivem Humor ironisiert Kelly Reichardt die Regeln des Outlaw-Roadmovies und entlarvt auf hintersinnig erfrischende Art den Freiheitsmythos des amerikanischen Kinos. «River of Grass» wurde an das renommierte Sundance Festival und an die Berlinale eingeladen und für gleich drei Independent Spirit Awards nominiert. Dennoch sollte es zwölf Jahre dauern, bis Kelly Reichardt ihren nächsten Film realisieren konnte. Ryan Gilbey schreibt in The Guardian: «Reichardt hatte ihre eigene Stimme noch nicht gefunden, als sie ‹River of Grass› inszenierte. Es fühlt sich an wie ein Film, der unter dem Einfluss von Jim Jarmusch oder Hal Hartley gedreht wurde. Aber es ist faszinierend, eine frühe Version der lyrischen Stimmung zu sehen, die ihren späteren Filmen ihren besonderen Glanz verleihen sollte.»