Sir

IN/FR 2018, 99 min, DCP, O/d-f
Regie: Rohena Gera
Darst.: Tillotama Shome, Vivek Gomber, Geetanjali Kulkarni, Rahul Vohra, Divya Seth Shah, Chandrachoor Rai, Dilnaz Irani, Bhagyashree Pandit, Anupriya Goenka u.a.

Der Plot dieses indischen Dramas könnte auch einen süffigen Bollywood-Film oder eine melodramatische Mainstream-Schmonzette abgeben: Nach dem Tod des Bruders kehrt Ashwin aus New York nach Mumbai zurück, um in der Baufirma der Familie zu arbeiten. Im teuren Appartement will er mit seiner zukünftigen Frau leben, betreut vom Dienstmädchen Ratna. Doch als Ashwin erfährt, dass seine Verlobte ihm untreu war, lässt er die Hochzeit platzen. Ratna bleibt als Bedienstete im Haus und der emotional verletzte Ashwin findet Trost in ihrer Fürsorge. Die beiden erkennen ihre verwandten Seelen und Sehnsüchte. Trotz unterschiedlicher Lebenswelten kommt es zu einer zarten Annäherung, auch wenn Ratna Ashwin weiterhin mit «Sir» anspricht und nicht mit dem Vornamen, wie es der junge Mann wünscht. Es ist eindrücklich, mit welch erstaunlicher Abgeklärtheit die junge Regisseurin Rohena Gera die verhaltene Liebesgeschichte in ihrem Spielfilmerstling inszeniert. Im Zentrum steht Ratna, die mit Pragmatismus, Klugheit und Hartnäckigkeit einen Weg aus ihrem Schicksal findet. Auf dem Land aufgewachsen, wurde sie mit 19 Jahren bereits Witwe. Weil sie den armen Schwiegereltern nicht auf der Tasche liegen will, arbeitet sie als Hausangestellte in der fernen Metropole und finanziert auch das Studium ihrer jüngeren Schwester. Ratna träumt davon, Schneiderin zu werden und hat in der Hausangestellten Laxmi ihre einzige Freundin, die sie darin unterstützt. Rohena Gera ist in Indien aufgewachsen und hat in Kalifornien, New York und Paris gelebt. In ihrem Filmdebüt verzichtet sie darauf, das einfache dörfliche Leben plakativ gegen die anonyme Grossstadt auszuspielen und die reale Rechtlosigkeit der Hausangestellten laut anzuprangern. Zwar wirft sie einen kritischen Blick auf das rigide indische Klassensystem, allerdings eher aus einer pragmatisch-optimistischen Perspektive, wie er ihrer jungen, selbstbestimmten Protagonistin eigen ist. Die zurückhaltende, differenzierte Beobachtung des Alltags der jungen Frau ist denn auch die Stärke des Films, der einen unaufgeregten Blick auf Indien wirft.