Alois Nebel

CSR/D 2011, 84 min, DCP, O/d-f
Regie: Tomás Lunák
Animationsfilm nach der Graphic Novel von Jaroslav Rudiš und Jaromír 99
Darst.: Miroslav Krobot, Karel Roden, Václav Neužil, Tereza Voříšková, Marie Ludvíková, Leoš Noha, Alois Švehlík, Ondřej Malý, Ján Sedal u.a.

Herbst 1989: Alois Nebel lebt in einem abgelegenen, kleinen Ort namens Bílý Potok in der Nähe der tschechoslowakisch-polnischen Grenze. Der Einzelgänger arbeitet als Fahrdienstleiter am örtlichen Bahnhof; in seiner Freizeit gilt seine ganze Leidenschaft dem Sammeln alter Fahrpläne. Sobald jedoch Nebel über dem Bahnhof aufzieht, beginnt Alois zu halluzinieren. Er sieht Geister und Schatten aus der dunklen Vergangenheit Europas, die in Zügen an ihm vorbeirauschen, Opfer des Zweiten Weltkrieges und der sowjetischen Besatzung, die ihn immer wieder heimsuchen. Als sich die Situation für Alois nicht bessert, wird er in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Dort lernt er «den Stummen» kennen, der Alois hilft, sich seinen Dämonen zu stellen … Der Animationsfilm ist die meisterhafte Verfilmung des fulminanten tschechischen Comics von Jaroslav Rudiš und Jaromír 99, der in Tschechien zum Bestseller avancierte. Die Verfilmung wurde 2012 mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet. Wie schon der Comic ist auch der Animationsfilm in Schwarz-Weiss gehalten – mit wunderbaren Graustufen, die eine herbstliche und winterliche Landschaft modellieren. Der Beginn ist geradezu ein Manifest für die Möglichkeiten klassischer Animation: Kein 3D, und dennoch ist die Panoramafahrt über das windumtoste Gebirge ein Lehrstück in räumlicher Illusion. Kein Computerrealismus, sondern klassisch rotoskopierte Szenen, die zunächst mit echten Schauspielern gedreht und dann vollständig überzeichnet wurden. «Grossartig die Szene, in der der nun arbeitslose Alois bei einem verdatterten Eisenbahnfunktionär in Prag um einen neuen Job bittet, anrührend auch die Einstellung, in der er zusammen mit anderen Gestrandeten im Bahnhofkino den tschechisch-deutschen Kinderfilmklassiker ‹Drei Haselnüsse für Aschenbrödel› anschaut und beinahe eine Träne verdrückt. Alois Nebel ist verliebt. Der Satz, mit dem er seiner Angebeteten auf dem Bahnhofsklo einen Strauss Nelken überreicht, hat das Zeug, als verklemmtester Heiratsantrag aller Zeiten in die Filmgeschichte einzugehen: ‹Eigentlich mag ich am liebsten Schneeglöckchen.› Es sind solche Momente von distanzierter Lakonik, die bis zuletzt verhindern, dass der Film, der die ganze Zeit nach Bildern sucht, die übers individuelle Erleben hinausgehen, am Ende doch noch in Kitsch abdriftet.» Stefanie Flamm, DIE ZEIT

 

Vorstellung in Anwesenheit des Comic-Autors Jaroslav Rudiš. Mit ihm unterhält sich David Basler, Verleger Edition Moderne.