Ikone der Nachkriegsmoderne – Audrey Hepburn
von Daniela Sannwald
Bevor Audrey Hepburn zum Filmstar wurde, hatte sie «Gigi» am Broadway gespielt, eine junge Frau, die in einem historischen Frankreich zur Kurtisane erzogen wird. Als Kind einer Holländerin und eines Briten brachte sie das für die Rolle notwendige europäische Flair mit, ihre elfenhafte Erscheinung und ihr für die frühen 1950er-Jahre ungewöhnliches Äusseres konnte Hollywood, das in Behäbigkeit und Selbstgefälligkeit zu erstarren drohte, sich nicht entgehen lassen: Das alte Studiosystem mit seinen durch Genreformeln quasi garantierten Profiten wurde plötzlich von der raschen Verbreitung des Fernsehens bedroht, und man suchte permanent nach Möglichkeiten, sich gegen das neue Medium abzusetzen: Farborgien in Technicolor, spektakuläre Schauwerte wie Statistenheere und historische Kostüme im Breitwandformat sowie die Entdeckung neuer Gesichter sollten das Kino retten.
Audrey Hepburn ist eine Repräsentantin dieser Strategien: Sie verfügte über natürliche Anmut und Haltung. Sie konnte jedes Kostüm tragen. Sie stellte keine Ansprüche wie die grossen Diven Hollywoods, sie war fleissig, zuverlässig und freundlich, und sie war dann am besten, wenn sie zeitgenössischen Frauenfiguren zum Leben verhalf; dann wirkte sie, wie kaum eine andere Schauspielerin der Zeit, authentisch, empathisch und warmherzig. So sehr, dass sich die Zuschauerinnen bis heute mit ihr identifizieren können, obwohl ihre Filme, trotz aller behaupteten Aktualität, immer märchenhaft sind.
Die tänzerische Leichtigkeit, mit der Audrey, etwa in «Roman Holiday» und «Sabrina», durch Herrenhäuser und Schlösser wirbelte, stand in starkem Kontrast zu den behäbigen Studio-Inszenierungen, zu den gemessenen Bewegungen ihrer Filmpartner, die zwar geschliffene Dialogzeilen überzeugend von sich gaben, aber keine Sekunde vergessen liessen, dass sie spielten. Selbst Darsteller wie Humphrey Bogart, Gary Cooper oder Cary Grant, die zu den Grössten ihrer Zeit zählten, wirkten im Vergleich mit ihr statisch und sehr altmodisch. Und Fred Astaire, neben dem sie durch das grossartige Paris- und Fashion-Musical «Funny Face» tanzte, war zwar als ihr Fotograf, nicht aber als Objekt ihres Begehrens glaubwürdig. Das machte jedoch nichts, denn Audrey Hepburns eigenartig kindhafte, geschlechtslose Figuren begehrten nicht wirklich. Die traditionellen Happy Ends ihrer Filme wirken immer ein wenig aufgesetzt, gerade weil Hepburn das Gegenteil signalisierte: Ihre Attraktivität lag in ihrer flirrenden Flüchtigkeit, die für alles andere als Beziehungsleben geeignet schien.
Sechs von Audrey Hepburns Filmen spielen in der französischen Hauptstadt, und es ist kein Zufall, dass man Audreys Figuren immer wieder dorthin versetzte. Auch wenn Audrey Hepburn hauptsächlich für Paramount, eines der grössten Studios in Hollywood, arbeitete, wurde sie selten als Amerikanerin gecastet: Weder ihr Typ noch ihr Akzent gaben ein All-American Girl her. In Paris konnte sie jedoch von unbestimmter Herkunft sein. Ariane, Gabrielle, Sabrina oder Regina etwa heissen Audreys Figuren, alles Namen, die einen europäischen Hintergrund suggerieren.
«La vie en rose», das Leben durch die rosa Brille, erklärt die Titelheldin in «Sabrina» dem nüchternen Geschäftsmann Linus Larrabee so: «Wenn es dir schlecht geht, sorg für etwas Regen, nicht bloss ein Nieseln, sondern ehrlichen, guten Regen. Und finde jemanden wirklich Netten, der dich durch den Bois de Boulogne fährt. Dass es regnet, ist sehr, sehr wichtig, denn dann riecht Paris am besten …», und dann singt sie das berühmte Chanson. Dass Sabrina eine echte Paris-Kennerin ist, beweist sie natürlich durch ihr Givenchy-Cocktailkleid mit der passenden schwarzen Kappe. Die ist mit Strasssteinen besetzt und hat eine zusätzliche kronenartige Verzierung. Damit erinnert der Film beiläufig noch einmal an die Prinzessin aus «Roman Holiday». Und auch wenn die Stadt in «Sabrina» nur als Küche vorkommt, aus deren Fenster man den Eiffelturm sieht, so schafft der Film doch die Grundlage für alle weiteren Audrey-in-Paris-Filme, die auf je verschiedene Weise – mal ironisch, mal nostalgisch – das Klischee variieren und ihm neue Facetten hinzufügen.
Wenn etwa «Love in the Afternoon» mit einer Sequenz beginnt, in der eine ganze Reihe von küssenden Paaren jeden Alters und aus den verschiedensten sozialen Milieus auf Pariser Strassen und Plätzen gezeigt wird, dann setzt der Film bereits auf eine gewisse virtuelle Paris-Erfahrung bei seinem Publikum. Doch das ist nur die Einleitung zu einer Geschichte von Ehebruch und Affären, bei der Audrey als brave Cellistin Ariane zur raffinierten Verführerin wird. Als sie – ganz Tochter eines Privatdetektivs – einen Mord aus Eifersucht verhindern will, weil ihr das prospektive Opfer so gut gefällt, ruft sie zunächst bei der Polizei an. «Ein Mann und eine Frau in einem Hotelzimmer? Und nur die Frau ist verheiratet? Mademoiselle, es gibt 210’000 Hotelzimmer in Paris, und in etwa 40’000 davon dürfte sich Ähnliches abspielen. Da besteht für uns kein Grund zum Einschreiten», belehrt sie der gelangweilte Beamte, der sich ganz offensichtlich in einer gelassen-gewährenden Haltung eingerichtet hat: «La vie en rose, das ist Paris», wird später zur Beruhigung des Publikums der Detektiv noch erklären. Die Farbe Rosa brachten weder «Sabrina» noch «Love in the Afternoon» tatsächlich auf die Leinwand. Es sind Schwarz-Weiss-Filme in weichen Grautönen, die bereits in den 1950er-Jahren nostalgisch wirkten.
Dafür knallte «Funny Face» nicht nur in Rosa, sondern im gesamten Technicolor-Spektrum, was sich nicht nur auf die Kostüme für Hepburn, sondern auch auf die Darstellung der Stadt auswirkte: Statt im Studio wurde – untypisch für das Musical-Genre – an Originalschauplätzen gedreht. Eine grossartige Gesangs- und Tanznummer bringt alle Paris-Sehnsüchte auf den Punkt: «Bonjour, Paris!». Das von Audrey gespielte Model Jo, Fred Astaire als Fotograf und Kay Thompson als Chefin des Modemagazins besichtigen – in einer Parallelmontage – die Stadt getrennt voneinander, während sie im Gesang vereint sind: Astaire tanzt vom Arc de Triomphe aus über die Champs-Élysées; die Redakteurin macht einen Schaufensterbummel im 1. Arrondissement, während Jo auf der Suche nach Existentialisten durch die mit jeder Menge skurriler Statisten bevölkerten Gassen des Montmartre streift. Es folgen Aufnahmen der bekannten Monumentalbauten, eines Wochenmarktes und schicker Läden. Jo läuft am echten Seine-Ufer entlang, wo falsche Maler vor ihren Staffeleien stehen, sie reitet auf einem Bronze-Löwen, während der Fotograf endlose Treppenfluchten hinauf- und wieder hinabrennt. Luftaufnahmen und 360-Grad-Schwenks zeigen noch einmal die ganze beeindruckende Silhouette der Stadt. Als sich alle drei auf dem Eiffelturm wieder treffen, stimmen sie gemeinsam in ein enthusiastisches «Bonjour, Paris!» ein.
Es ist aber dann doch ein New-York-Film, der selbst heutige Teenagerinnen zum Schwärmen und ihre zehn Jahre älteren Schwestern zum Fanbloggen bringt: «Breakfast at Tiffany’s» enthält die Essenz von Hepburns Modernität: Die damals 31-jährige Darstellerin spielte mühelos das 19-jährige Partygirl Holly Golightly – eine selbständige Frau, die weiss, was sie tut, und über jede Menge Strategien fürs Überleben in der Grossstadt New York verfügt. Sie findet sich besser zurecht als ihr Schriftsteller-Nachbar Paul, der sich interessanterweise ebenso prostituiert wie sie – beide verkaufen ihre jugendlichen Reize an zahlungskräftige ältere Personen des jeweils anderen Geschlechts, bis sie sich schliesslich ineinander verlieben.
Der Film etablierte nicht nur Audrey bis heute als Stilikone, sondern im Grunde als Avantgardistin einer Jugendkultur, die sich am Ende der Dekade vehement durchsetzen sollte. Sie hat den Boden für die superdünnen Models der 1960er-Jahre mit ihren androgynen Figuren bereitet; sie brachte die Hilflosigkeit als Attraktivitätsmerkmal auf und das damit verbundene Kindfrau-Schema in Mode. Hellsichtig nimmt der Film einige gesellschaftliche Themen der kommenden Dekade vorweg, auch indem er das traditionelle Geschlechterverhältnis in Frage stellt und mit der Behauptung «Menschen können nicht anderen Menschen gehören» die Institution Ehe im traditionellen Sinn in Frage stellt. Holly Golightly ist auf ihre Weise eine höchst emanzipierte Figur und «Breakfast at Tiffany’s» vielleicht der modernste Film, den das alte Hollywood je produziert hat – eine beglückende Symbiose von Kunst, Handwerk und Technik auf allerhöchstem Stand.
Mit dem Aufkommen von New Hollywood Ende der 1960er-Jahre ging Audrey Hepburns Karriere als Schauspielerin ihrem Ende entgegen; sie widmete sich der Erziehung ihrer beiden Söhne und in ihren letzten Lebensjahren der Arbeit für das Kinderhilfswerk UNICEF.
Mit nur 63 Jahren starb Audrey Hepburn in Tolochenaz, wo sie ihr Privatleben unbehelligt von Paparazzi führen konnte. Am 4. Mai 2019 wäre sie 90 Jahre alt geworden.
Daniela Sannwald ist promovierte Filmhistorikerin, Publizistin, Ausstellungskuratorin und Autorin zahlreicher Buch- und Zeitschriftenbeiträge mit Schwerpunkt (Film-)Kultur, Mode und Kostüm. Soeben ist ihre Monografie «Audrey Hepburn. Eine Hommage» erschienen; 2018 veröffentlichte sie mit Christina Tilmann «Königinnen. Macht und Mythos».