Best of International Arab Film Festival Zurich

 

von Evelyn Echle

 

Das Arab Film Festival bietet einen Querschnitt durch das vielfältige aktuelle arabische Filmschaffen: packende Geschichten, liebenswerte Alltagsepisoden und knallharte Perspektiven auf ein Leben in turbulenten Verhältnissen, gedreht in Ländern, die uns oft nur aus Medien mit News zu Terror und Krieg bekannt sind. Das Programm macht deutlich, wie kreativ sich das junge arabische Kino mit den politischen und sozialen Zuständen auseinandersetzt.

 

Der arabische Film ist ein Phänomen im wörtlichen Sinn: Es ist nur schwer zu fassen. Im französischsprachigen Raum lautet die Bezeichnung «les cinémas arabes» und trifft mit dem Plural den Kern der Sache. Das arabische Kino ist – wie die (arabische) Welt – bunt, divers und kaum auf einen Nenner zu bringen. Die Suche nach Gemeinsamkeiten führt in die Geschichte des arabischen Films; Berührungspunkte sind unter anderem in einer poetischen und visuellen Hochkultur zu finden sowie in den Parallelen einer gemeinsamen kolonialen Vergangenheit. Mit dieser lässt sich auch die in den meisten arabischen Staaten sehr spät einsetzende Filmproduktion erklären. Politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten von den Schutzmächten (hauptsächlich Frankreich und England) und deren Repressionen gegen die autochthone Kultur verhinderten eine eigenständige Filmkultur. Die einzige Ausnahme bildet Ägypten, das bereits während der Kolonialzeit mit dem Aufbau einer landeseigenen Produktion beschäftigt war und dieses Geschäft bis heute meisterhaft beherrscht. In den 1950er-Jahren galt die ägyptische Filmindustrie mit ihren Studios rund um Kairo und Alexandria als drittgrösste weltweit. Ihr Markenzeichen waren leichte Musicalrevuen und tränenreiche Melodramen. Durch eine enorme Produktionsleistung zirkulierten die auf Kommerz getrimmten ägyptischen Filme auf den Leinwänden in der ganzen arabischen Welt.

 

Die filmgeschichtlichen Wurzeln der anderen arabischen Länder liegen meist in den politischen Befreiungskämpfen im Zuge der Dekolonialisierung. Es überrascht wenig, dass es sich dabei vor allem um radikale Experimente, Dokumentarfilme oder sozial engagierte Werke handelt. Stellvertretend für dieses politisierte Kino kann das Filmschaffen in Algerien ab 1954 oder jenes von Palästina seit Ende der 1960er-Jahre genannt werden. Heute ist das Spektrum der Geschichten, die uns die Filme aus der sogenannten MENA-Region (Middle East and North Africa) zeigen, weit vielfältiger: Sie erzählen von struktureller Entwicklung und staatlichen Interventionen. Das Kino ist Ausdruck einer Repräsentationspolitik oder Vehikel für Revolutionen. Es überrascht mit Witz und Poesie, um staatlicher Zensur zu entgehen, und drückt sich budgetbedingt oft in experimentellen Formen aus. Nicht nur die Vielfalt im arabischen Filmschaffen hat in den letzten Jahren enorm zugenommen, sondern auch die Begeisterung des Publikums für die Werke dieser «new Arab voices». Nahezu alle grossen A-Festivals zeigen arabische Filme im Wettbewerb, und auch die Industrien in den arabischen Ländern selbst haben das Potenzial erkannt.

 

«Die Eröffnung von Kinos wird ein Katalysator für wirtschaftliches Wachstum und Diversifikation sein.» Diese Worte des saudischen Kulturministers Auwad al-Auwad gingen im Dezember 2017 um die Welt, als das ultrakonservative Land mit der Ankündigung verblüffte, das seit 35 Jahren bestehende Verbot von Kinos aufheben zu wollen. Seit April 2018 gibt es tatsächlich ein reguläres Kinoprogramm; die US-amerikanische Kette AMC sicherte sich die Lizenz. Neben unverhohlen wirtschaftlichen Interessen innerhalb des Strukturplans «Vision 2030» mag das Zugeständnis des Königreichs die Reaktion auf einen anderen wunden Punkt sein: Es gab einige Häme für das Land, als gleich zwei saudische Filme erfolgreich an internationalen Festivals liefen, die eigene Bevölkerung aber auf eine öffentliche Vorstellung verzichten musste. Neben «Wadjda» von Haifaa Al Mansour (2012) sorgte die Komödie «Barakah Meets Barakah» von Mahmoud Sabbagh (2016) für Furore. Während einerseits die Filmbranche als wirtschaftliche Heilsbringerin gefördert wird, kam es andererseits gerade im letzten Jahr zu erheblichen Finanzierungsschwierigkeiten. Grund ist die seit Juni 2017 wirksame Wirtschaftsblockade gegen Katar. Da das Doha Film Institute einen der aktivsten Filmfonds betreibt, dessen Gelder in zahlreiche Produktionen der MENA-Region fliessen, sind durch die diplomatische Krise viele Projekte gefährdet.


Selbst wenn es schwer ist, das Filmschaffen nur allein schon der produktivsten arabischen Länder – Marokko, Algerien, Tunesien, Palästina, Libanon, Syrien, Jordanien und Irak – im Blick zu behalten, fallen in jüngeren Werken doch einige Trends auf: Mutig werden queere Themen angesprochen, etwa im tunesischen Film «Upon the Shadow» von Nada Mezni Hafaiedh (2017), in Anthony Chidiacs «Room for a Man» (2017) oder in Mohamed Sabbahs «Chronic» (2017), letztere beiden Werke aus dem Libanon, dessen aktuelle Filmproduktion mit vielen jungen Talenten international für Aufsehen sorgt. Dazu zählt etwa Vatche Boulghourjian mit seinem Erstling «Tramontane» (2016). Die Geschichte um den blinden Sänger Rabih Ralek (gespielt vom libanesischen Musiker Barakat Jabbour) ist die Aufarbeitung des libanesischen Bürgerkriegs. Obwohl seit 1990 zu Ende, ist der Krieg im aktuellen libanesischen Filmschaffen überaus präsent, unter anderem in den Werken einer breit rezipierten dokumentarischen Schule, zu der zum Beispiel die Regisseurin Mai Masri gehört.


Die Schrecken des Kriegs prägen auch das Kino des Iraks. 2003 rüttelte der Schnappschuss eines halb verbrannten Zelluloidstreifens zu Füssen eines Journalisten die Filmwelt auf. Das Bild entstand nach der durch US-Truppen initiierten Bombardierung der Baghdad Cinema Studios, wo sich auch das nationale irakische Filmarchiv befand. Von einem der grössten Filmbestände der arabischen Welt waren nur acht stark beschädigte Zelluloidstreifen übrig geblieben. Das Ereignis regte zu mehreren künstlerischen und restauratorischen Projekten an. Verschiedene Filmschaffende, die während des Krieges emigrieren mussten, besuchten im Ausland Filmschulen und sind inzwischen in den Irak zurückgekehrt. Dazu zählen Regisseure wie Yahya Al-Allaq («War Canister», 2013) oder Raad Mushatat («The Silence of the Shepherd», 2014). Mit dem Versuch, erneut eine unabhängige Filmindustrie aufzubauen, trotzen sie dem Verlust. Einer der Furchtlosen ist Mohamed Al Daradji, dessen «Son of Babylon» (2009) den Wendepunkt zu einer wieder erstarkenden irakischen Filmszene markiert. Sein neuestes Werk «The Journey», das im März dieses Jahres im Irak uraufgeführt wurde, ist seit 27 Jahren der erste irakische Film, der seine Premiere im Heimatland feiern konnte. Und auch das scheint ein Trend im aktuellen arabischen Kino zu sein: Es gibt wieder Hoffnung.

 

Evelyn Echle ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich und Vorstandsmitglied des Vereins IAFFZ, International Arab Film Festival Zurich. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Filmgeschichte und Kulturtheorie.

 

Die Tournee des Best-of-Programms wurde von Cinélibre in Zusammenarbeit mit dem Filmpodium Zürich und dem Verein IAFFZ organisiert.

 

Im Mai gastiert eine Auswahlschau des International Arab Film Festival Zurich im Kinok und präsentiert ein breit gefächertes Programm mit neuen Filmen aus Ägypten, Algerien, Jordanien und Tunesien, organisiert von Cinélibre in Zusammenarbeit mit dem Filmpodium Zürich und dem Verein IAFFZ. Die Zusammenstellung zeigt, wie kreativ das junge arabische Kino auf die politischen und sozialen Verhältnisse in den jeweiligen Ländern reagiert. Politisches und Privates sind in zahlreichen Geschichten eng miteinander verbunden. Ein Highlight des Programms ist der Dokumentarfilm «Letters from Baghdad» über Gertrude Bell, eine der schillerndsten Frauen ihrer Zeit.