Premierenfilm

Leave No Trace

US 2018, 109 min, DCP, E/d-f
Regie: Debra Granik
Darst.: Thomasin McKenzie, Ben Foster, Jeffery Rifflard, Michael Draper, Derek John Drescher, Peter Simpson, Erik McGlothlin, Alissa McKay u.a.

Im ersten Moment könnte man es für ein Camping-Wochenende halten. Doch schnell wird klar, dass der Mann und seine 13-jährige Tochter seit Jahren in dieser völlig zurückgezogenen, routinierten Zweisamkeit in den abgeschiedenen Wäldern eines Nationalparks im US-Staat Oregon leben. Will und Tom haben sich dort eine Behausung gebaut und ernähren sich von dem, was sie im Wald finden. Nur gelegentlich begibt sich Will in die Stadt, um seine ärztlich verschriebenen Medikamente abzuholen und auf dem Schwarzmarkt zu Geld zu machen, damit er das Allernötigste einkaufen kann. Doch dann werden sie von einem Jogger entdeckt, und kurz danach greift die Polizei die beiden auf. Vater und Tochter werden von den besorgten Behörden regelrecht psychologisch durchleuchtet. Zu Beginn erinnert «Leave No Trace» an einen anderen «Aussteiger-Film», der im Kinok zu sehen war: «Captain Fantastic». Doch wo jener Film mit Viggo Mortensen sich in naive Wohlfühlromantik davonstiehlt, gräbt das Drehbuch von Debra Granik und Anne Rosellini tiefer. Ihr Drama ist nicht nur glaubwürdiger und komplexer in seiner Erzählweise, sondern auch intelligenter und eindringlicher. Wie in ihrem Oscar-nominierten Vorgänger «Winter’s Bone» begeistert Debra Granik mit einer ökonomischen Inszenierung und einem bestechenden Auge für Milieus und Figuren. Licht, Schatten und den Texturen der Natur widmet sie ebenso viel Aufmerksamkeit wie den zwischenmenschlichen Nuancen, die ohne unnötige dramaturgische Zuspitzungen auskommen. Ben Foster spielt den traumatisierten, liebevollen Vater mit feinnerviger Verletzlichkeit, an seiner Seite die neuseeländische Newcomerin Thomasin McKenzie, deren Natürlichkeit und Sensibilität an Jennifer Lawrence erinnert, die in «Winter’s Bone» eine sehr ähnliche Rolle verkörperte. Debra Granik erweist sich mit «Leave No Trace» erneut als souveräne Erzählerin einer Coming-of-Age-Geschichte und als differenzierte Chronistin eines armen, weissen Amerikas, das vorschnell als «White Trash» abgestempelt wird. Ein meisterlicher, stiller Film, der lange nachhallt.

 

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