Favolacce

IT/CH 2020, 98 min, DCP, I/d, ab 16 Jahren
Regie: Damiano D’Innocenzo, Fabio D’Innocenzo
Darst.: Elio Germano, Tommaso Di Cola, Giulietta Rebeggiani, Gabriel Montesi, Justin Korovkin, Barbara Chichiarelli, Lino Musella, Ileana D’Ambra, Max Malatesta u.a.

Eine «wahre Geschichte», die «auf einer Lüge basiert», verheisst eine männliche Erzählerstimme aus dem Off. Er habe das Tagebuch eines kleinen Mädchens gefunden – abrupt unterbrochen und achtlos weggeworfen, wie es scheint. Fasziniert von den naiven Notizen schreibt der Finder ihre Geschichte fort. Oder um? – Sommer in der Peripherie von Rom. Dräuende Hitze umflirrt eine propere Reihenhaussiedlung, in der eine rätselhaft beklemmende Stimmung herrscht. Die Eltern sind dauerfrustriert, weil mit dem Erwachsenwerden die Erkenntnis kam, dass ihre Träume unerreicht bleiben – die Väter cholerisch und latent gewalttätig, passiv und emotionslos die Mütter. Ihre Hoffnungen projizieren sie nun auf die Kinder, die sie wie dressierte Äffchen einander vorführen. Just in dem Alter, in dem sie ihre Unschuld verlieren und die Eltern als – abschreckende – Rollenmodelle der eigenen Zukunft wahrzunehmen beginnen, sind sie das Zentrum dieses famos als böses Märchen getarnten Stücks Neorealismo. Einige von ihnen werden Bomben bauen, um diese Vorstadthölle in die Luft zu jagen und so dem Elend der emotionalen Verwahrlosung zu entkommen. So sehr man es ihnen wünschen würde – der Plan wird misslingen. Unerwartet leise steuern diese «favolacce» (böse Märchen) auf familiäre Katastrophen zu und entwickeln dabei mit herausragenden Darstellern und einer bestechenden Bilddramaturgie einen hypnotischen Sog. Erst vor zwei Jahren gaben die Zwillingsbrüder Fabio und Damiano D’Innocenzo ihr viel gefeiertes Spielfilmdebüt mit «La terra dell’abbastanza». Geboren ebendort, in der Peripherie von Rom, haben sie keine formale Ausbildung durchlaufen, sondern das Handwerk bei der Arbeit erlernt – als Drehbuchautoren und beim Dreh von Videoclips. Ihr neues Meisterstück «Favolacce» erzählt von Frauen, Männern und Kindern, die allzu früh erleben, wie ihre Träume und Hoffnungen auf der Strecke bleiben. Ein wuchtiger und emotional mitreissender Film, der an der diesjährigen Berlinale mit dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch ausgezeichnet wurde.