Le Livre d’image

CH/FR 2018, 84 Min., DCP, O/d, ab 16 Jahren
Regie: Jean-Luc Godard

«Wirklich als Mensch zu leben heisst, mit den Händen zu denken», hört man die Stimme von Jean-Luc Godard zu Beginn aus dem Off. Dazu sieht man seine Hände bei der Filmmontage am Schneidetisch. Die fünf Finger der Hand verweisen zugleich auf die fünf Kapitel, in die «Le Livre d’image» gegliedert ist. In einer überbordenden Materialmenge aus fiktionalen und dokumentarischen Filmzitaten, aus nicht näher bestimmten Texten und Musik setzt der Regisseur nicht auf Trennschärfe, sondern auf Überlappung und poetische Undeutlichkeit. Wenn er in einem Kapitel unter der Überschrift «Remakes» Bilder von Gewalt, Unterwerfung und Krieg mit Zitaten aus Filmen von Pasolini und Propagandavideos des IS illustriert, unterstreicht er damit seinen melancholischen Geschichtspessimismus. Ein «Vom Geist der Gesetze» betiteltes Schlusskapitel handelt schliesslich vom Morden in Europa, von Gefängnis und Strafe und stellt diesen Sequenzen provokativ ein «glückliches Arabien» und eine Philosophie des Ostens gegenüber, die das Bewusstsein für die Zeit noch nicht verloren habe und so eine utopische Hoffnung wachhalte. Uraufgeführt 2018 am Filmfestival von Cannes, wo der damals 87-jährige Meister sich einen Spass daraus machte, die versammelten Medienleute mittels einer nur per Handykamera empfangbaren Pressekonferenz ins Leere laufen zu lassen, blieb diese so enigmatische wie faszinierende Zitatencollage sein letzter Film. Rüdiger Suchsland schreibt auf artechock.de: «Dieser Film ist ein Unikum – ohne Frage muss man ihn mehrfach sehen, um auch nur eine Vorstellung davon zu bekommen, was Godard sagen möchte. Ich habe ihn dreimal gesehen und habe keine Sekunde bereut. (…) Dieser Film ist ein Bewusstseinsstrom, der direkt dem Kopf des Regisseurs entstammt. Eine assoziativ verbundene Mischung von Ausschnitten aus Werken der Filmgeschichte, aus Nachrichtenbildern, Parolen und Begriffen, die in Versalien, in weisser Schrift auf schwarzem Grund, die Leinwand einnehmen, dazu übereinandergelegte Soundebenen und eine Erzählerstimme, die Godard selber spricht. Und auch wenn er längst eine Legende, ein Denkmal seiner selbst ist, scheint das eine unangemessene Bezeichnung zu sein: Godard ist hellwach und einer der jüngsten Filmemacher der Welt. Er erfindet sich immer wieder neu.»