Jim Jarmusch – Master of Cool II

 

Kurzer Musikführer durch Jim Jarmuschs Filme

 

von Fabian C. Meier

 

«Ich glaube, aus mir hätte eigentlich ein Musiker werden sollen, aber irgendwie bin ich vom Weg abgekommen und mache jetzt den Umständen entsprechend Filme.» Jim Jarmusch, YouTube-Video, veröffentlicht 2006

 

Zwei grosse Namen der Filmwelt hatten bei Jim Jarmuschs Irrweg die Hände im Spiel. Nicholas Ray machte ihn in seinem letzten Jahr an der Filmschule zu seinem Assistenten, und Wim Wenders brachte den Stein ins Rollen. Dieser arbeitete 1980 zusammen mit Nicholas Ray an einem Projekt, das immer mehr zum Porträt des seinem Krebsleiden erliegenden Ray wurde: «Lightning Over Water». Jarmusch war am Set anwesend. In einem Schwenk taucht er ungeplant im Bild auf. Seit dieser Zeit besteht eine Bande zwischen Wenders und Jarmusch, die zum glücklichen Umstand führte, dass der bekannte Filmemacher dem Neuling aus New York übrig gebliebenes Filmmaterial von den Dreharbeiten zu «Der Stand der Dinge» schenkte.

 

Mit drei Musikern aus seinem Bekanntenkreis begann Jarmusch improvisierend den Film zu drehen, der den Grundstein für seinen Ruf als einer der grössten Innovatoren des neueren amerikanischen Kinos begründete: «Stranger Than Paradise».

 

Unter Musikern

Musiker spielen im Werk von Jim Jarmusch eine enorm wichtige Rolle. Buchstäblich, denn oft waren sie – wie im Fall von «Stranger Than Paradise» – auch seine Hauptdarsteller. Niemand war so prägend für sein Frühwerk wie John Lurie. Der Saxofonist hatte gerade seine Avantgarde-Jazzband The Lounge Lizards gegründet, die stilistisch «irgendwo westlich von Charles Mingus und östlich von Bernard Herrmann» lag, wie ein Kritiker es einmal formulierte. Während einer Probenpause im legendären Squat Theatre drängte John Lurie seinen Freund, sofort etwas mit dem geschenkten Filmmaterial anzustellen. Sie einigten sich auf ein Szenario, das wohl von den Geistern des Orts inspiriert wurde. Das Squat Theatre war nämlich einige Jahre zuvor von der ungarischen Einwandererfamilie Bálint gegründet worden. Die Filmidee sah nun vor, dass ein ungarischer Immigrant in New York, von John Lurie gespielt, unwillkommenen Besuch von seiner Cousine aus Ungarn erhält. Als Hauptdarstellerin wünschte sich Jim Jarmusch die erst 16-jährige Tochter der Squat-Theatre-Familie. Eszter Bálint ist in dem kleinen Dampfkessel aufgewachsen, in dem sich die verschiedenen Indie-Szenen New Yorks die Klinke in die Hand drückten. Das besondere Merkmal des Squat Theatres war die im ebenerdigen Wohnzimmer installierte Bühne, auf die eine grosse Schaufensterfront auch von der Strasse her Einblick bot. Namhafte Musiker traten hier auf, Sun Ra zum Beispiel, und The Lounge Lizards waren eine Art Hausband.

 

John Lurie sollte auch gleich den Soundtrack zu «Stranger Than Paradise» beisteuern: Zusammen mit Eszter Bálint als Ratgeberin an der Geige hörte er sich beim Komponieren Schallplatten von Béla Bartók an, um seinem Streichquartett einen ungarischen Touch zu verpassen. Der dritte Musiker im Schauspieler-Bunde war Richard Edson, der zu jener Zeit bei Sonic Youth Schlagzeug spielte. Und da wäre noch eine Stimme zu erwähnen, die dem schwelenden Blues, der über der Handlung lastet, etwas Soul eintrichtert. Es handelt sich um Screamin’ Jay Hawkins und seine Beschwörung «I Put a Spell on You», dem Song über die Macht haltloser Besessenheit aus dem Jahr 1956. Trotz spärlicher Dosierung im Film schafft er es, einen maximalen Kontrapunkt zur undurchdringlichen Lakonie der Figuren zu setzen.

 

Der Film schlug überall ein, wo es ein Publikum für Autorenfilme gab. Jim Jarmusch war der Indiefilmer der Stunde, und John Lurie wurde von Europa aus als die Inkarnation des Hipsters wahrgenommen. Seiner Gruppe The Lounge Lizards konnte das nicht schaden: Sie wurde zu einer der erfolgreichsten Formationen, die aus der vitalen New Yorker No-Wave-Szene hervorging.

 

An der Lower East Side hatte sich anfangs der Achtzigerjahre eine hyperaktive, experimentierfreudige Bewegung angesiedelt, die den jungen Jim Jarmusch stark prägte. Auch er spielte in einer Band, The Del-Byzanteens. An allen Ecken und Enden wurde gejamt, gedichtet, gerappt und gesprayt. Wichtig war es, sich auszudrücken, nicht der schnelle kommerzielle Erfolg. So machte jeder alles und nicht unbedingt nur das, was er am besten konnte. Es entstanden viele Verbindungen zwischen Musikern, Filmemachern und allen möglichen Arten von Künstlern.

 

Dieses Selfmade-Klima war der ideale Nährboden für einen wie John Lurie: Mal inszenierte er einen Undergroundfilm, mal eine eigene alternative TV-Show. Doch seine wahre Meisterschaft erreichte er am Saxofon. Sein klangfarbenreicher, hypnotischer Sound ist genauso unverkennbar wie sein minimalistischer, um melodische Zentren kreisender Kompositionsstil.

 

Jim Jarmusch besetzte ihn auch für «Down by Law» wieder als Filmmusiker und Darsteller. An seiner Seite tauchte Tom Waits auf, der verrückteste Crooner der Szene. Damit bewies Jim Jarmusch erneut sein delikates Feingefühl für die Kombination von charismatischen Persönlichkeiten. John Lurie nannte es «a sort of Andy Warhol talent behind getting interesting people together». In «Down by Law» stiess zudem Roberto Benigni zu den Musikern, Komödiant von Beruf zwar, sein amerikanisches Kauderwelsch aber wie ein Free Jazzer in Szene setzend.

 

Das Jarmusch-Karussell

Der Reigen des Musiker-Casts setzte sich in «Mystery Train» mit Joe Strummer von The Clash fort. Und der Nachtportier in der Lobby des Arcade Hotels in Memphis war kein anderer als Screamin’ Jay Hawkins, von dem der Song in «Stranger Than Paradise» stammt. Er befand sich zu jener Zeit in einem anhaltenden Karrieretief, und sein Erscheinen in den Jarmusch-Filmen bescherte ihm verdiente Aufmerksamkeit. Denn er kann durchaus als Erfinder des Shock Rocks angesehen werden, nicht nur, weil er die Bühne aus einem Sarg heraus zu betreten pflegte. Zu seinen Insignien gehörten eine um den Hals gelegte Gummischlange und ein Zepter mit aufgespiesstem Totenschädel, dem er ab und zu eine Zigarette spendierte. Ein durch die Nase gezogener Knochen liess keinen Zweifel an seiner Beschäftigung mit Voodoo-Ritualen aufkommen.

 

Der Zimmerbursche mit der Fliegenklatsche neben Hawkins wurde übrigens von Cinqué Lee gespielt, dem Bruder von Jarmuschs Regiekollegen Spike Lee. Zusammen mit seiner Schwester Joie Lee war er in einer Episode von «Coffee and Cigarettes» wieder mit von der Partie. Auch in diesem Film sprangen zu den bereits bekannten Grössen illustre Musiker aufs Jarmusch-Karussell. Da wären die Rockstars Jack und Meg White von The White Stripes zu nennen, und last but not least Iggy Pop, der sich an der Seite von Tom Waits selbst spielen durfte. Auch von Iggy Pop wird sich Jarmusch nicht so schnell trennen: In «Dead Man» verkörperte er in einem überraschenden Auftritt ganz in Frauenkleidern den Halunken Salvatore «Sally» Jenko. Ein kühner, sein öffentliches Image torpedierender Einfall, denn Iggy Pops Performance als Punkrocker stand doch eher für die fast kultisch entfesselte Regression ins Proto-Männliche als für Gender-Transgression. Jim Jarmusch hat nie ein Hehl daraus gemacht, wie sehr ihn der rohe, bis auf die Knochen reduzierte Rock ’n’ Roll fasziniert. Vor Kurzem hat er «Gimme Danger», einen Film über Iggy Pop und seine Band The Stooges fertiggestellt, das zweite Rockumentary nach «Year of the Horse», in dem Jim Jarmusch mit Super-8-Kameras eine Tournee von Neil Young und Crazy Horse dokumentierte. Es war eine Gegenleistung für dessen epischen Soundtrack zu «Dead Man», in dem eine einsame Gitarre wie eine kommentierende Stimme aus dem Bauch des maroden Wilden Westens durch den Film führt. Neil Young visionierte das noch unvollendete Werk in einem eigens zum Filmtonstudio umfunktionierten Kaufhaus und nahm dann seiner Intuition folgend in zwei, drei ununterbrochenen Durchläufen diese einzigartige Filmmusik auf.

 

Rauschende Ohren

Bei Jim Jarmusch reift der Sound eines Films von der ersten Idee an mit. «Schon wenn ich an einem Drehbuch arbeite, höre ich mir Dinge an, die mich in der Welt, in der ich mich gerade bewege, inspirieren. Ich höre mir die Musik so oft an, dass ich nicht sagen kann, wie die Dinge am Ende genau funktionieren. Aber ich mag es, eine bestimmte Musik als Teil des Filmgewebes einzusetzen.»

 

Jarmuschs Klangwelten begannen sich nun von Film zu Film den Genres entlang zu verschieben. Die Filmmusik zu «Ghost Dog» wurde in der Loop- und Beat-Schmiede von RZA gefertigt, einem Mitglied des Hip-Hop-Kollektivs Wu-Tang Clan. «Cut it up, mix it together, I don’t care», lautete dessen Gebrauchsanleitung für den Filmemacher, was den Ton seines Samurai-Gangster-Hip-Hop-Eastern-Westerns genau traf.

 

Das Script zu «The Limits of Control» schrieb Jarmusch unter starkem Einfluss von Drone Metal. Einzelne Musiker der Drone-Szene haben sich zum Einfluss bekannt, den Neil Youngs Musik für «Dead Man» auf sie ausgeübt hatte. Die Bands Earth, Boris und Sunn O))) stehen für ein Konzept der Gitarrenmusik, das sich von gängigen Songstrukturen verbschiedet hat und sich stattdessen ganz der Schichtung von Klangräumen widmet. Im Zentrum stehen tiefgestimmte Gitarren, übersteuerte Verstärkersysteme und bewegte Luftmassen. Lautstärke ist ein konstituierender Faktor dieser Musik, weil die Drones in der Live-Situation mindestens in gleicher Weise über die mitschwingenden Organe der Zuhörer aufgenommen werden wie über deren Ohren. Darin liegt vielleicht die Bedeutung des rätselhaften Filmtitels verborgen: «The Limits of Control».

 

Richtig konkret in seinen wohl auch persönlichen Vorlieben wird Jim Jarmusch aber in «Only Lovers Left Alive». Nicht dass für den damals gerade 60 Jahre alt gewordenen Regisseur der Genuss von Blut der Gruppe 0 negativ überlebenswichtig geworden wäre. Es ist das Geheimwissen des Sammlers und die Passion für alte Gitarren, die er mit dem Protagonisten Adam, dem 500-jährigen Vampir, teilt. Adam wacht nachts über sein düsteres Anwesen in den Suburbs von Detroit. In der dem Zerfall überlassenen Metropole sind die ehrwürdigen Music Halls von einst längst zu vermodernden Autoparkhallen verkommen. Dafür stapeln sich in Adams Refugium die Relikte einer glorreichen, musikalischen Vergangenheit: aufnahmebereite Bandmaschinen, alte Amps und Gitarren, Cellos und Geigen. Jede Ecke in den Gemächern erzählt von einer Seele, die an die Musik verloren gegangen ist. Adam hat einen persönlichen Equipment-Dealer angestellt, der ihn mit Stoff versorgt.

 

«Eine Supro» … «1959, Mann» … «Ein echt schönes Stück» … «Und das ist ’ne ganz spezielle Hagstrom von 1960. Aus Schweden. Sieh dir die Rückseite an, sieht aus wie die Mutter der Klobrillen.» Gemeint sind natürlich äusserst seltene Originale der Gitarrengeschichte. «Brauchst du sonst noch etwas Abgefahrenes?» So geht’s gleich in der ersten Szene los: Was wie nerdige Kommunikation auf einschlägigen Foren für Gitarren-Fetischisten tönt, ist in der Welt der Vampire reine Überlebensstrategie. Ein Untoter wie Adam nimmt nur das Feinste von dem, was die Geschichte hergibt, denn seine Inspiration wird von der exklusiven Energie der raren Instrumente beflügelt.

 

Wir sehen in «Only Lovers Left Alive», wie Adam in seinem Schlupfwinkel grosse Teile der Filmmusik gleich selbst einspielt. In Wirklichkeit stecken aber Jim Jarmusch und seine Band SQÜRL dahinter, die zusammen mit Jozef van Wissem den Soundtrack kreierten. Jim Jarmusch greift seit einigen Jahren selbst wieder zur Gitarre und folgt seinen Vorbildern, von denen so manche die Soundlandschaften seiner Filme mitgeformt haben. Sein mit minimalistischen Mitteln geformter Ambient Rock folgt den Spuren, die John Lurie und die No-Wave-Bewegung, Neil Young und die Drone-Metal-Szene legten. Für Jarmusch schliesst sich ein Kreis: Er findet auf seinem ruhmreichen Irrweg des Filmemachens zurück zu dem, was er einmal als seine eigentliche Berufung bezeichnet hat: zur Musik.

 

«Only Lovers Left Alive» zeigt auch, dass sich bei Jarmusch seit seinen Anfängen vieles verändert hat. Es ist der erste Film, in dem Jarmusch einen Musiker von einem Schauspieler mimen lässt. In seinen frühen Filmen war es gerade umgekehrt: Musiker traten als Schauspieler in Erscheinung und schmuggelten immer das gewisse Etwas an Authentischem und Ungeschliffenem durch die Hintertür hinein. Mittlerweile befinden sich viele bekannte Gesichter aus der Filmbranche auf dem Planeten Jarmusch. Und die ursprüngliche Unmittelbarkeit der Selfmade-Ästhetik ist stilistischer Sicherheit gewichen.

 

Auch zu seinem neusten Film «Paterson» steuerte Jarmuschs Gruppe SQÜRL die Filmmusik bei. Immerhin erhält Iggy Pop an der Pinnwand der verschlafenen Quartierkneipe von Paterson einen Ehrenplatz zugewiesen. Verloren hängt er da im Pantheon der Kleinstadt als Zeichen dafür, dass Jim Jarmusch seine alten Helden noch nicht gänzlich aus seinen Filmen verbannen kann.

 

«Imagine the world without music. Man, just hand me a gun, will you?» Jim Jarmusch, Filmgespräch am ATP Festival 2009, Monticello, NY

 

Fabian C. Meier studierte Theaterregie am Max Reinhardt Seminar in Wien, bildende Kunst an der Höheren Fachschule in Luzern und arbeitet als freischaffender Cutter.

 

Im Januar und Februar zeigen wir die Filme eines Regisseurs, der wie kein zweiter das amerikanische Independent-Kino prägte: Jim Jarmusch. Spätestens seit «Down by Law» geniesst Jarmusch Kultstatus. Sein Werk trägt seine eigenwillige Handschrift; seine Filme sind «strange and beautiful», die Plots minimalistisch, von stoischer Lakonie und bisweilen slapstickartiger Komik, mit einem Sinn für skurrile Gestalten und Situationen. Seine Filme realisiert er mit einer eingeschworenen Darstellergemeinde, der auch bekannte Musiker angehören. Jetzt sind sie in restaurierten und digitalisierten Fassungen wieder oder neu zu entdecken.