Robert Walser und das Kino

Das «graziöse Vorüber-huschen der Bedeutungen»

von Reto Sorg

 

Robert Walser hat das Kino geschätzt – und das Kino hat sich von ihm, dem grossen Flaneur, inspirieren lassen. Die in Kooperation mit dem Robert Walser-Zentrum entstandene Filmreihe lädt zu Ausflügen ins weite Feld des filmästhetischen Umgangs mit Robert Walser von den Anfängen bis heute.

Robert Walser selbst war ein Kinogänger. Er hatte diese volkstümliche Form des Vergnügens in Berlin schätzen gelernt und liess es sich auch in seiner Berner Zeit zwischen 1920 und 1933 nicht nehmen, die Lichtspieltheater zu frequentieren. Filme hatten für ihn weniger mit Kunst und Bildung zu tun als vielmehr mit Unterhaltung und Zerstreuung. Wobei ihn als Autor irritierte, dass der Kinowelt die Urheberschaft der bewunderten Werke ziemlich egal war: «Doch wer fragt bei Kinostücken nach Autoren?»

 

Dass der Grossteil der gezeigten Filme ausgekochte Rührstücke waren, schien Walser hingegen nicht zu stören, ganz im Gegenteil. Er präsentiert sich in der Hinsicht als Liebhaber der Trash-Kultur avant la lettre. Die sentimentalen Strickmuster, plakativen Stories und klischierten Figuren faszinierten ihn offensichtlich. In den Zwanzigerjahren begann er, Texte zu verfassen, die Elemente aus Schundromanen und Unterhaltungsfilmen enthielten. Indem er aufgriff, was ihn billig ansprang, um daraus eigene Texte zu spinnen, antizipierte er Methoden der intertextuellen Collage und Montage. Walser wäre nicht Walser, wenn er seine Quellen nicht ausplaudern würde: «Und nun ist es Pflicht für den Autor, dass er eingesteht, er verdanke diese Geschichte einem Kinoeindruck», heisst es am Ende eines mikrografisch notierten Prosastücks von 1925. Welchen Eindruck die bewegten Bilder auf Walser machten, bezeugen die einschlägigen Wortverbindungen, mit denen er einige seiner Texte spickte. Vom «Kinokleinod», «Kinomann» und «Kinomädchen» ist da genauso die Rede wie von «Kinokönigin», «Kinokerl», «Kinokarriere», «Kinofigurantin», «Kinopfarrer» oder einem «Kinokind». Noch stärker als die Inhalte dürften Walser indes die narrativen und stilistischen Mittel des Kinos beeinflusst haben. Im Aufsatz «Die leichte Hochachtung», der 1927 im «Berliner Tageblatt» erscheint, bekennt er: «Und dann berührt mich die Technik im Kino als etwas ungemein Einnehmendes, und dann die Schnelligkeit, dieses graziöse Vorüberhuschen der Bedeutungen, als sitze man abends beim Lampenlicht in einer Herberge oder in einem Kloster oder in einer Villa oder in einem Einfamilienhaus am Tische und blättere in einem Bilderbuch, das voll unaussprechlichen Lebens ist.»

 

Walsers Sensibilität für die Wahrnehmung, insbesondere die Affinität zum Visuellen, zeigte sich schon im frühen Interesse für das Theater und die Malerei, das er mit seinem älteren Bruder Karl teilte, einem erfolgreichen Maler und Bühnenbildner, der ihn nachhaltig geprägt hatte. Walsers künstlerische Hingabe an den Blick und das Schauen, an die natürlichen und virtuellen optischen Reize erklärt wiederum, weshalb sich zahlreiche bildende Künstler – darunter auch Filmemacher – für sein Werk und seine Person interessieren.

In den 1960er- und 1970er-Jahren hatte eine neue Generation von Filmemachern begonnen, sich mit Robert Walser auseinanderzusetzen. Im Vorfeld von Walsers 100. Geburtstag, der 1978 mit einer Vielzahl von Anlässen und Publikationen über die Bühne ging, wurde Walsers Werk neu entdeckt und mit Begeisterung in aktuelle künstlerische Zusammenhänge hineingestellt. Was man bei Walser lernen konnte, war eine Unorthodoxie des Sehens. Dass Walser gerade dem Outsider, dem randständigen Beobachter eine derart radikale Subjektivität und subversive Ironie zugestand, faszinierte nachhaltig. Damals begann eine interdisziplinäre, vielfältige Rezeption, die bis heute ungebrochen anhält und sich internationalisiert hat.

 

Dass auch heutzutage viele interessante Ansätze zur Rezeption von Walsers Werk aus dem Bereich der visuellen Künste kommen, veranschaulicht die Ausstellung «Ohne Achtsamkeit beachte ich alles. Robert Walser und die bildende Kunst» im Aargauer Kunsthaus, die in Zusammenarbeit mit dem Robert Walser-Zentrum entstanden ist.

 

Die repräsentative Auswahl der Filme, die das Kinok zeigt, macht das Spektrum des filmästhetischen Umgangs mit Robert Walser von den Anfängen bis heute deutlich: Die klassische Literaturverfilmung («Der Gehülfe», Regie: Thomas Koerfer, 1975) ist ebenso vertreten wie die experimentelle Roman-Adaption («Institute Benjamenta», Regie: Stephen Quay, Timothy Quay, 1995), der fürs Fernsehen produzierte Dokumentarfilm («Ich stehe immer noch vor der Tür des Lebens», Regie: Peter Hamm, 1986) ebenso wie der selten gezeigte Experimentalfilm («Robert Walser», Regie: Hans Helmut Klaus Schoenherr, 1974–1978), der poetische Episodenfilm («Er, der Hut, sitzt auf ihm, dem Kopf», Regie: Walo Deuber, 2006) ebenso wie die Doku-Fiction («Der Vormund und sein Dichter», Regie: Percy Adlon, 1978) und die ‹Spaziergang›-Adaption («All This Can Happen», Regie: Siobhan Davies, David Hinton, 2013). 

 

Reto Sorg ist Leiter des Robert Walser-Zentrums Bern und hat die Filmreihe gemeinsam mit Thomas Allenbach vom Kino Kunstmuseum Bern kuratiert.

 

Aargauer Kunsthaus: «Ohne Achtsamkeit beachte ich alles. Robert Walser und die bildende Kunst», 10. Mai bis 27. Juli 2014, www.aargauerkunsthaus.ch

 

Robert Walser-Zentrum Bern: «Robert Walsers Mikrogramme», bis 15. Oktober 2014, www.robertwalser.ch

Robert Walser war ein grosser Liebhaber des Kinos und hat sich für seine Texte immer wieder von Filmen inspirieren lassen. Dies gilt auch umgekehrt. Nicht nur bildende Künstler, sondern auch Regisseure haben sich mit dem Autor und seinem Werk auseinandergesetzt. Das Kinok zeigt im Juli und August eine repräsentative Auswahl der Filme, die das Spektrum des filmästhetischen Umgangs mit Robert Walser von den Anfängen bis heute deutlich macht.